«Ein starker Abend von kraut_produktion»

Von der Kürze des Lebens – Kritik im Tagesanzeiger, 21.1.2012

Sie verteidigen eine Bühnenästhetik, die man nur noch selten zu sehen bekommt: die Gruppe kraut_produktion, die für ihre Theaterarbeiten wiederholt den Internetmüll durchwühlt und das gefundene Material in knalligen Revuen aufbereitet hat. Mit ihrer Trash-Ästhteik reizte die Gruppe um den Regisseur Michel Schröder wiederholt die Schmerzgrenzen aus, aber immer ging kraut_produktion in ihren Arbeiten über das Ausstellen und das lustvolle Spiel mit dem Material hinaus.

Auch in der jüngsten Arbeit mit dem Titel «Von der Kürze des Lebens» gibt es das Bekenntnis zu einer Materialästhtik, was man bereits am Bühnenbild von Frieda Schneider erkennen kann: An der Brandmauer sind Holzpaneele und Türen gestaffelt, man glaubt in ein Kulissenlager zu blicken. Auf dieses Holzmaterial werden die Videos von Roland Schmidt projiziert: kleine Animationen, Collagen und Filme, in denen dich zum Beispiel Tanzgirls aus den 30er-Jahren auf einer Kuchenbühne im Kreis drehen – zu einem Song von Britney Spears.

Diese Videoarbeiten sind ein Teil der Attraktion dieser Revue, in der sich die fünf Schauspieler Gummi- und Schwammmasken (von Sasa Kohler) überstülpen und disparates Fremdmaterial zeigen. Nachgespielt wird zum Beispiel jenes Interview mit Klaus Kinski, in dem er sich allen Fragen mit Gegenfragen entzieht, oder die legendäre ORF-Talkshow, in der Nina Hagen 1979 erklärt, wie Frauen beim Sex mit Männern «Orgasmüsser» bekommen können. Klar ist das absolut genial, wenn Thomas U. Hostettler den Kinski gibt oder wenn er durch einen Geburtskanal aus Autoreifen robbt. Aber in ihrem neuen Projekt geht kraut_produktion weit über den Cool Fun der Müllästhetik hinaus, etwa wenn Michel Schröder mit viel Gefühl Neil Youngs «Harvets Moon» singt oder wenn Sandra Utzinger die Abdankungsrede eines Geistlichen vorträgt – zu, Tod ihres eigenen Vaters, der durch Suizid aus dem Leben schied.

Zugespitzt könnte man sagen, dass die Bühnenkünstler hier mit fremdem Material ihr eigenes Leben zu bewältigen versuchen. Eine starke Theaterarbeit, über der ein Satz aus einem Stück von René Pollesch stehen könnte: «Mein Leben ist nicht zu bewältigen, und davon lebe ich!»

(Andreas Tobler)