«Irrfahrten durch die Kopfwelt»

Die kraut_produktion um Regisseur Michel Schröder widmet sich mit «Une Saison en Enfer» der zerrissenen Seele von Arthur Rimbaud.

Une Saison en Enfer – Kritik im Zürcher Unterländer

Eintritt in eine grandiose Weltgerümpelkammer: Der von Duri Bischoff zusammengebastelte Bühnenraum im Theaterhaus Gessnerallee ist ein poetischer Wirrwarr-Garten, ein ideales Tummelfeld für eine kranke Seele wie der des Dichters Arthur Rimbaud (1854-1891). Er war ein verwunschener Poet, der nur 20-jährig sein Dichten abrupt beendete, danach zum reisenden Abenteurer wurde und schliesslich elendiglich im Alter von 37 Jahren starb.

Ein Rebell gegen alle, alles und gegen sich; ein Genie, ein Magier, ein Haudegen, ein Waffenhändler. Und ein homoerotisch Getriebener: Er liebte mit sadomasochistischer Inbrunst den Dichter Paul Verlaine; der verfiel ihm, verlor Frau, Kind und Verstand und schoss auf ihn. Er musste ins Gefängnis, Rimbaud schickte ihm seine selbstbezichtigende Autobiographie «Une Saison en Enfer».

Dem 110. Todesjahr von Verlaine widmete denn die Gruppe kraut_produktion auch den Szenenbogen über Arthur Rimbaud: ein Versuch, den Widerspenstigen einzufangen, ein Delirium zu reproduzieren, einen grossartigen Poeten zu feiern. Vom Bühnenhimmel herabhängende Fischernetze, Leitern, ein TV-Gerät, ein Pferdesattel, Musikinstrumente links, rundes Tischchen, Sofa, Tisch mit Malfarben rechts, Lampen. Auf der hinteren Bühnenwand flimmern Filme aus dem Welttheater vorbei (Roland Schmidt): Kriege, Schattentheater, Flugzeugabsturz, Tanz, Blumen, ein altes Segelschiff und so weiter. Davor ein Zuber, ein Mann im Schaumbad. Der Nackte steigt raus, schmiert sich mit schwarzer Farbe ein: derweil sinniert vorne eine adrette Dame gerade ergreifend traurig über das Ende des Dichters Rimbaud: «Er vergeistigte sich als Sterbender, er ist nicht mehr ein menschliches Wesen.»

Und es startet die Raserei auf der Geisterbahn: In Stöckelschuhen und Unterrock (Kostüme Nic Tillein) hebt Rimbaud an zur Hasstirade auf Religionen, Menschen und sich selbst, «das Leben ist eine Lachnummer!». Dazu ohrenbetäubende Musik, weshalb am Eingang Ohropax verteilt wurden. Es folgen dann im Reigen der Bilder auch weichere, ruhigere, poetische Momente, mit wunderschönen Texten Rimbauds – die erotisierende Lobeshymne auf die Eichel etwa oder das Gedicht über das arme Herz. Insgesamt gelang kraut_produktion unter Michel Schröder ein sinnliches, buntes Kaleidoskop über die Irrfahrten eines menschlichen Hirns, das verstörende Protokoll einer Kaskade von Abstürzen.

Zu sehen war auch eine schauspielerisch (Ewelina Guzik, Thams U. Hostettler, Herwig Ursin, Sandra Utzinger, Markus Wolff) und musikalisch (René Schütz, Martin Roth) eindringliche Studie über eine letztlich in ihrer Widersprüchlichkeit unfassbare Dichterfigur.

Roland Maurer