«Bannendes Theater»

Gegen Kraut und Hora ist kein Kraut gewachsen

Kritik im Tagesanzeiger zu «Human Resources»

«Wir sind alle gleich!», ruft Sandra Utzinger und hüpft nackt vor uns herum. Spätestens in dieser FKK-Euphorie wissen wir, dass diese Sache mit der Gleichheit wahrscheinlich eines der allergrössten Menschheitsmärchen ist. Denn wer von uns würde sich schon im Adams-oder Evakostüm einem hundertäugigen Publikum präsentieren, selbst wenn es dabei um die Gleichheit ginge? Wahrscheinlich nur die allerattraktivsten Aktivisten sowie Schauspieler der freien Szene , die aus Entblössung und Überschreitung ihren Beruf gemacht haben.

Und genau darum geht es in «Human Resources», dem neuen Abend der kraut_produktion, den die Gruppe um Regisseur Michel Schröder zusammen mit Hora entwickelt hat, der weltberühmten Behindertentheatergruppe aus Zürich: um die Vermarktung des Besonderen und der Grenzüberschreitung. Da wird gebalzt und gebettelt, verdrängt und verwertet, übertrumpft und überrumpelt.

Gehandelt wird mit allem: mit Mitleid, Handicaps und abnormen Begabungen. So etwa, wenn Nils Torpus in seinem Liebesgeständnis einer Zushauerin sein Herz öffnet – und damit uns alle in die Tasche steckt. Oder dann, wenn der Hora-Schauspieler Nikolai Gralak Geld für einen Harry-Potter-Ring sammelt, wobei zwecks Mitleiderregung auf die Gehaltsschere zwischen behinderten und nichtbehinderten Schauspielern hingewiesen wird. Und nicht zuletzt dann, wenn Thomas U. Hostettler sich darüber auslässt, dass in der heutigen Performancekunst alles so «eingemittet» sei. Früher, ja früher, da habe man noch Tankwagenladungen von Blut verspritzt. Heute im Zeitalter der Political Correctness und des Vegi-Wahns, reiche es gerade noch für eine «vegane Beschüttung». Sagts und schüttet sich einen Gemüsepott über den Kopf.

Das ist sie wieder: die obligate, wenn auch vegane Schweinerei, die es in fast allen Kraut-Produktionen gibt, mit denen man uns erklärtermassen «bleibende Schäden zufügen» will. Die bleiben diesmal aus. Denn obwohl es einen Abend lang um Wettbewerb und Konkurrenz geht, ist «Human Resources» letztlich nichts anderes als ein Stück ideales, also egalitär-libertäres Theater. Und das hat wesentlich mit der Materialästhetik von Ktaut zu tun, in der alles gleichberechtigt nebeneinander vorkommen darf, ohne dass alles gleichgemacht wird: die Hora-Schauspieler neben denjenigen von Kraut, die Videokollagen von Roland Schmidt neben den Kostümorgien von Nic Tillein, grosser Quatsch neben grossem Ernst.

Mit diesem kontrastreichen Neben- und Miteinander punktet «Human Resources», so etwa, wenn auf dem Video ein Monstertruck einige Kleinwagen platt walzt, während Gianni Blumer von Hora einen Song von Udo Jürgens rezitiert, mit dem es ihm übrigens sehr ernst sei. Oder dann, wenn Matthias Grandjean die Statusmeldungen eines Facebook-Profils vorliest, womit der Hora-Schauspieler offensichtlich rein gar nichts zu tun hat.

Damit wären wir wieder bei der alten Frage, die sich immer aufdrängt, wenn Behinderte und Nichtbehinderte zusammen auf der Bühne stehen:  Wer sind hier die Freaks? Die Behinderten oder die statussüchtigen Benutzer der sozialen Netzwerke? Im «Gemeinschaftsdelirium» von Kraut und Hora spielt das keine Rolle: Sie machen im Neben- und Miteinander bannendes Theater, in dem man sich gerne verliert.