«An Selbstauflösung grenzende Realitätsbewältigung»

Kritik im TAGESANZEIGER vom 21. 4. 2007

Max Frisch und Friedrich Dürrenmatt sind zu ihm gepilgert, Peter Bichsel hielt ihn für den «Untalentiertesten unter den Grossen» der Schweizer Literatur: Der Kult um den Kreuz-und-quer-Denker Ludwig Hohl (1904-1980) ist sprichwörtlich, ebenso dessen Hang zur Selbstinszenierung und sein nahezu humorloses Pathos. Sein Hauptwerk, die «Notizen», hat er in jungen Jahren «in der grössten geistigen Einöde» seines Hollandaufenthalts zu Papier gebracht, den Rest seines Lebens verbrachte er mit dem Überarbeiten und Umbauen seines wild zerklüfteten Gedanken-Steinbruchs. Die Ludwig-Hohl-Inszenierung von Michel Schröder und seiner kraut_produktion setzt an bei dieser eigentümlichen Mischung aus Behauptungsmanie und Verweigerungspathos. Auf der Bühne steht ein wackliges Geviert aus Büchergestellen und Büromaterial, eine auf Pannenanfälligkeit reduzierte Version von Hohls legendärem Genfer Kelleratelier (Bühnenbild: Duri Bischoff). Zwei unscheinbare Personen, ein Mann (Roland Schmidt) und eine Frau (Sandra Utzinger) wuseln darin herum und versuchen allerlei Geräte zum Arbeiten zu bringen.
Das Premierenpublikum lacht viel bei diesen an Selbstauflösung grenzenden Realitätsbewältigungen, brüchige Kontrastfolien zu den von Thomas U. Hostettler mit geschwollenem Furor karikierten Wortkaskaden eines Auserwählten, der seine nihilistischen Maximen in Form verbaler Orgasmen auskostet. Nur skizzenhaft öffnet das kurze, multimedial operierende Kammerspiel einen Assoziations- und Reflexionsraum, der sich stellenweise zu bildstarken Szenen verdichtet. So etwa dann, wenn der gegen die Hundehaltermentalität wetternde Prediger plötzlich aussieht wie ein von einem hundeförmigen Besen geführter Blinder, der wegwischend feststellen muss, dass es noch eine Welt gibt ausserhalb seines eingebunkerten Denkzentrums.

Monika Burri